Ein Erinnerungsfoto an der Ortstafel mit allen Wandergesellen und Johannes Abart (vorne Zweiter von rechts) sowie Priamos Gruber (stehend Erster von links).

Arbeiten und Reisen einmal anders

Publiziert in 20 / 2016 - Erschienen am 25. Mai 2016
Eine besondere Form, beides miteinander zu verbinden, hat Johannes Abart gewählt. Der 24-jährige Fliesenleger ist als Wandergeselle unterwegs. Schleis - Beim Musikfestival ­„Nature One“ in Deutschland hatte der junge Schleiser einen Wandergesellen kennengelernt. Schon damals hatte es ihn fasziniert, dass junge Menschen nach abgeschlossener Lehre für mehrere Jahre auf die Walz gehen, wie es bereits im Mittelalter der Brauch war. Doch bis er selbst sich auf den Weg machen würde, sollte noch einige Zeit vergehen. Im vergangenen Jahr wurde der Wunsch, die Welt zu erkunden, wieder aktuell. „Ich wollte aber nicht für einige Monate nach Australien gehen“, sagt ­Johannes Abart. Da fiel ihm wieder ein, was der Wandergeselle ihm erzählt hatte. Schon bald fuhr er zu einem Gesellentreffen in Deutschland, dem noch weitere folgten. Der junge Mann lernte die verschiedenen Schächte kennen, wie die Ver­einigungen der Handwerker ­heißen, die auf Wanderschaft gehen. Im deutschsprachigen Raum gibt es insgesamt 7 Schächte, welche die mittelalterliche Tradi­tion der Wanderschaft hochhalten. Einige sind auf einzelne Berufsgruppen wie beispielsweise ­Zimmerleute beschränkt und nur bei zweien sind auch ­Frauen zugelassen. Zu letzteren gehört der Freie Begegnungsschacht, der jüngste unter der Schächten, der heuer sein 30-jähriges Bestehen begeht. Für ihn hat sich Johannes Abart entschieden. Klare Regeln Voraussetzung für einen Wandergesellen ist, dass er ledig ist, einen untadeligen Ruf und keine Schulden hat. Er darf bis zu einem Alter von 30 Jahren unterwegs sein, mindestens aber müssen es drei Jahre und ein Tag sein. Diese Grundregeln haben alle Schächte, ebenso wie einige weitere. So wird um den Heimatort ein Bannkreis von 50 Kilometern Luftlinie gezogen, der während der Dauer der Wanderschaft nicht betreten werden darf. Die Wandergesellen dürfen kein Geld mitnehmen. Unterkunft und Verpflegung müssen sie sich erarbeiten bzw. sie sind auf die Gastfreundschaft anderer angewiesen. Sie dürfen aber nicht länger als drei Monate am selben Ort bleiben. Sie sind zu Fuß oder per Anhalter unterwegs; öffentliche Verkehrsmittel und Flugzeuge sind tabu – es sei denn, die Fahrkarte oder das Flugticket sind der Lohn für Arbeit bzw. wird von anderen bezahlt. Alles, was sie zum Leben brauchen, führen Wandergesellen in ihrem „Charlottenburger“ mit sich. So heißt das Tuch, in das das Hab und Gut eingewickelt wird. Mehrere dieser Tücher werden geschickt miteinander verbunden. Die Wandergesellen von heute verzichten bewusst auf die Errungenschaften der modernen Technik. Sie haben kein Handy und müssen daher andere Wege suchen, um mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben. Am Pfingstmontag war es so weit Nach rund einem Jahr der Vorbereitung war es am Pfingstwochenende für Johannes Abart so weit. Noch einmal wurde mit Familie, Freunden und der Dorfbevölkerung gefeiert, ehe er die Kluft des Wandergesellen anzog, die er die nächsten drei Jahre tragen wird. Zu dieser Feier waren auch insgesamt 20 Wandergesellen aus Deutschland und der Schweiz gekommen. Einziger Südtiroler war Priamos Gruber aus Montan, der im Vorjahr von seiner dreijährigen Wanderschaft zurückgekommen war. Vor ihm war bereits der Zimmermann Markus Erlacher aus Rabland auf der Walz gewesen. Johannes Abart ist nun der dritte Wandergeselle Südtirols in der jüngeren Vergangenheit. Ritual beim Abschied Bevor die Zeit der Wanderschaft aber beginnt, muss noch ein gewisses Ritual umgesetzt werden. Zuerst setzt der Bürgermeister den Stempel der Gemeinde in das Wanderbuch der Gesellen. In Schleis machte dies Vizebürgermeister Josef Thurner. Dann zogen die Wandergesellen gemeinsam mit Johannes Abart durch das Dorf bis zum Ortsschild. In dessen unmittelbarer Nähe musste der neue Wandergeselle aus Schleis ein 80 Zentimeter tiefes Loch graben, in das eine versiegelte halbe Flasche Schnaps und eine Flasche voll ­Zettelchen mit guten Wünschen von Familie, Freunden und Bekannten gelegt wurde. Bei der Heimkehr in einigen Jahren wird beides wieder ans Tageslicht geholt. Dann hieß es Abschied nehmen. Johannes Abart kletterte auf das Ortsschild und ließ sich auf der anderen Seite in die Hände der Wandergesellen fallen. Er durfte seinen Blick nicht mehr zurück wenden, denn nun hatte seine Wanderschaft endgültig begonnen. Der Weg führte zunächst in Richtung Reschen und dann weiter nach Landeck. Bis zum Verlassen des Bannkreises wurde der Neuling von rund einem Dutzend Wandergesellen begleitet. Nun steht ihm während der ersten drei Monate seiner Wanderschaft eine Altgesellin zur Seite, ehe er seine Zeit frei gestalten kann. In einigen Jahren wird der junge ­Fliesenleger, mit vielen Erfahrungen und Erlebnissen reicher, wieder nach Schleis zurückkehren. Dann wird wieder ein großes Fest gefeiert – da sind sich die Schleiser schon heute sicher. red
Redaktion

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