Lamin, 23, wurde aus Heidelberg nach Italien zurückgeschickt und meinte zu seinem Leben als Erntehelfer in Kalabrien: „Man lebt wie Tiere. Alle Europäer schauen zu. Niemand macht gar nichts.“
Zum Welternährungstag geladen hatte der Obmann des Weltladens Latsch, Richard Theiner.
Mit regionalen Produkten verabschiedet wurden Sepp Wielander, Maria Hochgruber Kuenzer, Susanne Elsen und Stefan Luther (v.l.).

16. Oktober: Welternährungstag 

Für 832 Millionen Menschen war es vielmehr ein Welthungertag

Publiziert in 36 / 2019 - Erschienen am 22. Oktober 2019

Latsch - An die 450 Schüler haben ihn gesehen und am Abend saßen gut 100 Interessierte, Landwirte, Mitarbeiter der VI.P, Vertreter von Genossenschaften und Gemeindeverwalter vor der Leinwand. Sie alle ließen sich auf Einladung der Sozialgenossenschaft Weltladen bewegen und aufrütteln. Genossenschaftsobmann Richard Theiner hatte zum Welternährungstag, der für Millionen Menschen ein Welthungertag war, die Filmreportage „Europas dreckige Ernte“ von Vanessa Lünenschloß und Jan Zimmermann ins Tal geholt. Mit ihrer Reportage hatten sie unglaubliche Zustände in Spanien und Italien aufgedeckt. Über Sklavenhalter-Methoden, durch Ausbeutung und Erpressung von Migranten und Flüchtlingen als Erntearbeiter werden Tiefstpreise bei landwirtschaftlichen Produkten erzielt. Mit dem Lohn- und Preisdumping gelingt es Discountern und Supermärkten, den Markt in Europa nach Gutdünken zu beherrschen und kleinere Betriebe oder selbstständige Bauern in den Ruin zu treiben. 

Betroffen und wütend

Im Anschluss bat Theiner die Landesrätin Maria Kuenzer, die Professorin für soziale Landwirtschaft Susanne Elsen, den Direktor der Abteilung Arbeit Stefan Luther und den ehemaligen Direktor des Verbandes der Obst- und Gemüseproduzenten VI.P Sepp Wielander um eine Stellungnahme zu den katastrophalen Zuständen im spanischen Almerìa und den mafiösen Umtrieben in Süditalien. Stefan Luther sah eine komplexe Problematik. Er fragte sich, wer ist denn eigentlich der Schuldige und wo entsteht das ganze Problem, gab aber zu, keine Antwort zu haben. Susanne Elsen war nicht nur betroffen, sondern auch wütend, weil der Weltmarkt die Landwirtschaft immer mehr erpresst. Da werde bewusst weggeschaut, von Seiten der EU. Das bedeute aus ihrer Sicht Missbrauch öffentlicher Gelder. Der Hebel sei auf höchster Ebene der Politik und bei der Kontrolle anzusetzen. Maria Hochgruber Kuenzer hat der Satz eines Arbeiters „Niemand macht nichts“ betroffen gemacht. Das heiße, jeder einzelne trage Verantwortung und sei aufgerufen, etwas zu tun. Richard Theiner mache „etwas“ mit dieser Veranstaltung. Sie kam auf die Lebensmittelverschwendung zu sprechen, die direkt mit industrieller Produktion, also mit billig und Masse zu tun habe. Auch Sepp Wielander zeigte sich schockiert, aber man solle nicht von Italien und Spanien, sondern von Almería, Kalabrien und Sizilien reden. Mit einem gewissen Stolz möchte er behaupten, dass es so etwas bei uns nicht gegeben habe und nicht geben werde. 

Kulturwandel statt Kontrollen

Gefordert sei der Staat und nicht der Konsument, der weiß ja nicht, wie die Ware produziert worden ist. Das Problem sei, dass es heute noch Menschen gäbe, die einfach ausbeuten. Aus dem Publikum kam eine Erklärung, dass der Bürger wegen überteuerter Lebenshaltungskosten zum Billigeinkaufen gezwungen werde. Der Ausdruck „Teufelskreis“ wurde immer wieder genannt. Es müsse Geld in die Hände der Menschen kommen. Stefan Luther sieht Lösungen nicht in der Menge der Kontrollen, sondern in einem Kulturwandel. Es werde sich erst dann etwas ändern, wenn es akzeptiert werde. Wenn jemand kaum über die Runden komme, könne man niemandem vorschreiben, anders einzukaufen. Zum Thema Zertifizierungen und Qualitätssiegel konnte Sepp Wielander auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Er zeigte sich überzeugt, dass in Südtirol alle geforderten Punkte eingehalten würden. Dass die Ketten immer mächtiger werden, liege an den unterschiedlichen Lohnniveaus in der EU. Dies wüssten die Ketten schamlos auszunützen. Susanne Elsen berichtete von organisierten Konsumenten, die wüssten, was läuft. Dörfer, ja ganze Städte hätten sich schon zusammengeschlossen, um den einzelnen Bauern zu schü-
tzen. Solche „Selbsthilfegruppen“ würden sich inzwischen auch in Italien organisieren. Sensibilisierungskampagnen für Schüler seien wichtig und würden nicht wirkungslos bleiben. Wir können nicht achselzuckend weiter-
machen, weil alles so weit weg sei, warnte Maria Kuenzer. Auch sie leitete in ihr Spezialgebiet über, den Landschaftsschutz: „Nur wenn wir Landschaft und Freiflächen bewahren, bewahren wir uns Unabhängigkeit und Möglichkeiten, Lebensmittel zu produzieren und in unseren Dorfläden anzubieten.“

Günther Schöpf

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